IFK Streamingvortrag: Andreas Gehrlach „Knie nieder, beweg die Lippen zum Gebet, und du wirst glauben!“ Die Kulturgeschichte des Kniefalls

Streamingvortrag am IFK

Wann: 9. November 2020, 18.15 Uhr

 

Das Knien ist eine der wichtigsten Gesten zur Hierarchieherstellung – aber ist sie nur das? Im Knien geschieht immer auch ein Lernprozess, in dem Hierarchien überhaupt erst sichtbar gemacht, aber gleichzeitig auch verinnerlicht werden. Die Kulturgeschichte des Kniens ist so alt wie unerforscht, und sie nimmt ausgesprochen unerwartete Wendungen.

 

1839 hatte König Ludwig I. ein Problem: Protestanten im bayrischen Heer. Prinzipiell waren sie unproblematisch, doch knieten diese Soldaten in katholischen Gottesdiensten nicht nieder, wenn das Allerheiligste präsentiert wurde. Das störte Ludwigs ästhetisches Empfinden, und er erzwang das Niederknien per Befehl. Der daraus entstehende „Kniebeugestreit“ begann, die prinzipielle Frage danach, zu debattieren, was es überhaupt bedeutet, niederzuknien.

 

Weshalb und wovor gekniet werden soll, ist zu jedem Zeitpunkt der europäischen Kultur eine politische und religiöse Problematik ersten Ranges. Die Kulturgeschichte des Knies in seiner Funktion als „Gehorsamsorgan“ des Menschen ist ebenso sehr eine Geschichte der Herrschaft wie auch der Subversion; sie beginnt bereits im Gilgamesch-Epos, erstreckt sich über die Bibel und die Spätantike und endet nicht bei Louis Althussers Überlegungen zum Knien als Ideologisierungsgeste oder bei Willi Brandts Kniefall von Warschau. Das Knien ist noch in der Dienstleistungsgesellschaft problematisch, und bei Sport-Großveranstaltungen, bei denen Sportler lieber knien, als zur Nationalhymne zu stehen, ist das Knien sogar eine widerständige Geste.

 

 

 

 

 

Andreas Gehrlach studierte Literaturwissenschaft und Geschichte in Tübingen und ist Wissenschafter am Institut für Kulturwissenschaft in Berlin. Er schrieb seine Doktorarbeit über Diebstahlserzählungen als Gründungsmythen an der FU Berlin und in Tübingen. Aufenthalte als Gastwissenschafter an der University of Chicago und in Cambridge. Er forscht zu prekären, kriminellen und politischen Ökonomien. Derzeit ist Andreas Gehrlach IFK_Research Fellow.

 

Das Knien ist eine der wichtigsten Gesten zur Hierarchieherstellung – aber ist sie nur das? Im Knien geschieht immer auch ein Lernprozess, in dem Hierarchien überhaupt erst sichtbar gemacht, aber gleichzeitig auch verinnerlicht werden. Die Kulturgeschichte des Kniens ist so alt wie unerforscht, und sie nimmt ausgesprochen unerwartete Wendungen.

1839 hatte König Ludwig I. ein Problem: Protestanten im bayrischen Heer. Prinzipiell waren sie unproblematisch, doch knieten diese Soldaten in katholischen Gottesdiensten nicht nieder, wenn das Allerheiligste präsentiert wurde. Das störte Ludwigs ästhetisches Empfinden, und er erzwang das Niederknien per Befehl. Der daraus entstehende „Kniebeugestreit“ begann, die prinzipielle Frage danach, zu debattieren, was es überhaupt bedeutet, niederzuknien.

Weshalb und wovor gekniet werden soll, ist zu jedem Zeitpunkt der europäischen Kultur eine politische und religiöse Problematik ersten Ranges. Die Kulturgeschichte des Knies in seiner Funktion als „Gehorsamsorgan“ des Menschen ist ebenso sehr eine Geschichte der Herrschaft wie auch der Subversion; sie beginnt bereits im Gilgamesch-Epos, erstreckt sich über die Bibel und die Spätantike und endet nicht bei Louis Althussers Überlegungen zum Knien als Ideologisierungsgeste oder bei Willi Brandts Kniefall von Warschau. Das Knien ist noch in der Dienstleistungsgesellschaft problematisch, und bei Sport-Großveranstaltungen, bei denen Sportler lieber knien, als zur Nationalhymne zu stehen, ist das Knien sogar eine widerständige Geste.

Andreas Gehrlach studierte Literaturwissenschaft und Geschichte in Tübingen und ist Wissenschafter am Institut für Kulturwissenschaft in Berlin. Er schrieb seine Doktorarbeit über Diebstahlserzählungen als Gründungsmythen an der FU Berlin und in Tübingen. Aufenthalte als Gastwissenschafter an der University of Chicago und in Cambridge. Er forscht zu prekären, kriminellen und politischen Ökonomien. Derzeit ist Andreas Gehrlach IFK_Research Fellow.

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