Geschichte am Mittwoch
27. November 2019 18.30-20 Uhr
Ort: Universität Wien, Institut für Geschichte, Universitätsring 1, 1010 Wien, Hörsaal 30
Moderation: Peter Becker
Im Jahr 1768 reiste Heinrich von Trebra, ein eifriger Beamter im Dienste des sächsischen Kurfürsten, nach Holland um frisches Kapital zu beschaffen. Sachsen war vom Siebenjährigen Krieg gebeutelt und die Silberbergwerke bangten ums Überleben. In Amsterdam errichteten Mittelmänner Investitionsfonds, wie sie sonst für den riskanten Walfang und die karibische Plantagenwirtschaft genutzt wurden. Auch Trebras größte Unterstützer besaßen Zucker- und Kaffeeplantagen, wo sich zu jener Zeit eine eigene Dynamik von Überleben und Raubbau entfaltete. An schnellere Rendite gewöhnt, zogen sich die Investoren nach zehn Jahren enttäuscht aus dem Bergbau zurück. Zu ungeduldig, fand Trebra, denn gute Anteilseigner zahlen mitunter halbe Jahrhunderte lang Beiträge, bevor sie oder ihre Nachkommen Ausbeute sehen. Diese sehr eigentümliche Logik kann mit den Datenpraktiken des Bergstaats erklärt werden, welche „nachhaltige“ Bewirtschaftung über lange Zeiträume erst plausibel machte. Die Bergbeamte entdeckten im Archiv Ertragsregister seit dem 16. Jahrhundert und verarbeiteten sie zu langen Zahlenreihen. Kompilation erlaubte, gewonnenes Silber als Zeichen für die Vorsehung Gottes zu deuten. Derart kosmologisch rückversichert stellten Bergbeamte das Überleben der Bergwerke grundsätzlich über den Profit der Investoren und oft auch über Leib und Leben der Arbeiter. Der Bergstaat fiel um 1850 liberalen Reformen zum Opfer; Nachhalt(igkeit) überlebte als Ideal und Praxis.
Sebastian Felten, BA (Humboldt Universität Berlin) MA PhD (King’s College London) ist Historiker mit Schwerpunkt auf Finanz, Wissenschaft und Bürokratie im neuzeitlichen Europa und seit 2019 Universitätsassistent am Institut für Geschichte. Zuvor Wissenschaftlicher Mitarbeiter am MPI für Wissenschaftsgeschichte Berlin. Aktuell: doi.org/10.1177/0073275318792451, doi.org/10.1111/rest.12583